Von Berlin nach Weimar und retour nach Berlin

Mein Vater, Jahrgang 1917, erzählte gern Skurrilitäten aus der Weimarer Zeit: Über den inflationsbedingten Gang zur Bank mit Wäschekörben, über die freitäglichen Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten vor den Glas-Bier-Geschäften sowie über den Untermieter von Zitzewitz – einen faulen adligen Ewigstudenten und seine bildungsfernen parasitären Marotten.

Alles wiederholt sich. Ich möchte heute einen Blick auf das Parteiensystem und den Mainstream im Damals-heute-Vergleich werfen. Auf den ersten Blick ist aus der Sicht eines banalen Links-rechts-Schemas alles geblieben wie es immer schon war:

Kaiserreich Weimar Bonn Ostberlin Berlin
KPD DKP SED Linke
SPD SPD SPD zwangsvereinigt SPD
Freisinn DDP FDP LDPD FDP
Zentrum Zentrum CDU CDU CDU
Zentrum BVP CSU CSU
Freikonservative DVP, WP CDU, FDP AfD
Konservative DNVP CDU
Landbünde Landbünde DBD
Lebensreformerische antiparlamentarische Sekten Grüne Grüne
DRP NSDAP NPD NDPD NPD

SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die von Stalin, Chrustschoff und Breschnjeff geführte Staatspartei,    DDP = Deutsche Demokratische Partei, später Deutsche Staatspartei, reformistisch,    LDPD = Liberaldemokratische Partei Deutschlands unter Führung der SED,    Zentrum = eine im wesentlichen katholische Partei,    BVP = Bayerische Volkspartei, das bayrische Gegenstück zum Zetrum,    DVP = Deutsche Volkspartei, reformistisch,    WP = Wirtschaftspartei, reformistisch    DNVP = Deutschnationale Volkspartei, zu Anfang retrospektiv, ab 1930 reformistisch,    DBD = Demokratische Bauernpartei Deutschlands unter Führung der SED,    NDPD = Nationaldemokratische Partei Deutschlands unter Führung der SED.    DRP = Deutsche Reformpartei, lebensreformerisch und antisemitisch. Die Übrigen dürften bekannt sein. Für 1933 bis 1945 habe ich keine Spalte eingefügt, weil es da fast nichts zu sehen gibt.

Diese Tabellendarstellung ist jedoch banal und oberflächlich, weil immer wichtig ist, wer mit dem Zeitgeist schwimmt und wer ihm widersteht. Ohne zur Kenntnis zu nehmen, was die Medien von den Politikern wollten und wollen, führt jeglicher Vergleich der Zeitläufe in die Irre. Denn es kommt ja darauf an, wer die Debatten gerade dominiert.

Das Kaiserreich muß man in zwei Perioden gliedern: Die Bismarck- und die Wilhelm-II-Zeit. Bismarck benutzte zuerst die Konservativen und Liberalen gegen das Zentrum, danach die Konservativen und das Zentrum gegen die Sozialdemokratie. Bis etwa 1876 waren die Katholiken das, was heute die AfD ist, ab 1878 die Sozialdemokraten: Die Aussätzigen. Unter Wilhelm II. breitete sich in den Lüften der Kultur die Lebensreform aus. Zunehmend gerieten nach 1900 wiederum das Zentrum und neu die Konservativen unter Rechtfertigungsdruck der Medien und des Kulturbetriebs. Sie waren für die Matadore der neu entstandenen Jugendbewegung das Alte, Überlebte und Kranke. Der Kampf gegen den alten weißen Mann hat also einen 150 Jahre alten und ewiglangen Bart. Der Mann, nicht der Bart, scheint sehr widerstandsfähig zu sein.

In der Weimarer Republik beherrschte die Lebensreform den gesamten Medienbetrieb von Kippenberg (linkselitaristisch), Mosse, Hugenberg (rechtselitaristisch), Ullstein (banalelitaristisch) bis zur geringauflagigen rotbraun schillernden Weltbühne. Keine bedeutende Zeitung akzeptierte jemals das Zentrum, auch die SPD stand permanent in der Kritik. Die KPD, die NSDAP und die späte DNVP hatten dagegen ihre schlagkräftigen Fantrupps bei den Meinungsmachern. So wie die Presse heute grün ist, so war sie in den 20ern rotbraun. Daß die NSDAP zum Schluß gewann, war der subtilen Vorabeit der Medien und des Kulturbetriebs „zu verdanken“.

Die Zone kannte nur Mainstream. Alle Medien wurden in wahrer Sysiphusarbeit Buchstabe für Buchstabe von Moskau kontrolliert. Insofern waren alle Parteien auch auf derselben Linie. Es roch nach красивая Москва, wer sich an dieses penetrante Rosenölparfum noch erinnert.

Heute im entwickelten Merkelschen Klima-und Asylkatastrophismus ist auf den ersten Blick klar, wer für die MSM Freund und Feind ist. Was vor hundert Jahren das Zentrum und die SPD für die Pseudoeliten waren, ist heute die AfD: der Paria. Interessant die Kontinuität der Grünen: In der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik waren sie dezidiert antiparlamentarisch und antidemokratisch eingestellt. Man träumte in der Jugend- und Lebensreformbewegung von Führerschaft sowie Eliten und nannte die Demokrate die „Herrschaft der Minderwertigen“. Ergo nahm man – ausgenommen Kommunisten und Nationalsozialisten – nie an Wahlen teil. Letztere beide Parteien auch nur um Wahlen nach ihrem Sieg endgültig abzuschaffen.

Insofern ist es schon interessant, wie die Klimahysteriker zunehmend die Demokratie in Frage stellen und eine Weltdiktatur des Monopolkapitals performen. Die heutigen Grünen können ihr Herkommen aus der Lebensreform nicht verleugnen. Was die elitären Konzepte angeht, sind sie wieder an ihren Wurzeln angelangt. Als brandgefährliche Demokratiefeinde und verbohrte Besserwissis.

Als kleine Aufmunterung für die AfD: Wie man sieht, haben die gesellschaftlichen Buhmänner immer mal gewechselt. Wenn eine Ideologie „gesiegt“ hatte, begann immer ihr schneller Fall in den Abgrund. Wir sehen das zweite Mal – wie schon 1910 bis 1945 – eine lebensreformerische Flut, die seit 1968 anschwillt. Aber wie schon vermerkt: Auf jede Flut folgt eine Ebbe. Ich denke wir stehen so wie 1933 derzeit wieder einmal am Scheitelpunkt der Welle.