Das tote Kind von Viersen und tote Arbeitszeugnisse

Ganz provokativ will ich mal voranstellen: Das Lesen von Arbeitszeugnissen kann man sich versparen. Da steht nichts drin, und wenn doch, dann sehr verdruckst. Selbst die merkeltreuen MSM berichten anläßlich des ungeklärten Todes eines dreijährigen Kindes in Viersen (Mordrhein-Vandalien) darüber: Wenn eine Erzieherin bei einem Träger wegen mangelnder Empathie auffällt, dürfte man das nach Angaben des Deutschen Kita-Verbands nicht einmal ansatzweise im Zeugnis erwähnen. Immer mal wieder würden Erzieherinnen ungeeeignet sein. «Insgesamt wird man diese Mitarbeiter überhaupt nur relativ schwer los.» Arbeitsrecht und Datenschutz gingen häufig auf Kosten der Kinder. Eine Rolle würde auch der Fachkräftemangel spielen: «Deshalb werden manchmal Menschen eingestellt, die man vielleicht vor zehn Jahren nicht eingestellt hätte», so die Chefin des Verbands Weegmann.

Ich war selbst 16 Jahre lang für die Einstellung von Fachpersonal für den kommunalen Kindergarten zuständig. In der Regel lief die Suche über den Bekanntenkreis der bereits in der Einrichtung Beschäftigten. Damit hatte ich sehr gute Treffer. Der Kindergarten war bei den Eltern sehr beliebt, das Personal war top und hat sich auch untereinander verstanden.

Auch in meinem ersten Leben als selbständiger Ingenieur bin ich so vorgegangen. In den fünf Betrieben, wo ich mitgemischt hatte, wurde über die Jahre mit steigender Tendenz nur eingestellt, wer von den Mitarbeitern angeschleppt oder empfohlen wurde. Die Mitarbeiter hatten ja alle bereits in anderen Betrieben gearbeitet und kannten einen Haufen Exkollegen. In den 90ern habe ich es ein paar Mal übers Arbeitsamt versucht, aber es hat oft nicht geklappt. Die gemeldeten Leute standen nicht immer wirklich zur Verfügung. Man hat viel Zeit verschwendet, um ohne Erfolg rumzutelefonieren. Heute kommen noch die Diskriminierungsgesetze hinzu, die eine Suche über Annoncen oder über das Amt unmöglich machen. Auch von der Seite der Arbeitssuchenden empfehle ich, alte Kollegennetzwerke zu nutzen oder sich direkt an Arbeitgeber zu wenden.

Ja, ich mußte auch Zeugnisse schreiben. Das ging Null-Acht-Fuffzehn nach Schema F. Man hat halt nur Freundliches aufgeschrieben, um keine Scherereien zu riskieren. Einmal bekam ich Post von einem Rechtsanwalt, welcher eine gekündigte junge Dame vertrat. Er hatte mir einen langen Text mit total übertriebenen Lobeshymnen geschickt. Ich hab das unterschrieben, ohne mit der Wimper zu zucken. Gedacht habe ich mir dabei, daß das nicht gut ankommt. Das konnte ein Blinder sehen, daß das Zeugnis nicht mit rechten Dingen zustande gekommen war. Ein Bärendienst. Seis drum.

Entweder das Arbeitsrecht muß entstaubt werden, oder man kann die Wirtschaft entlasten, indem man auf Arbeitszeugnisse verzichtet. Derzeit gelten § 630 BGB i.V.m. § 109 Gewerbeordnung.

§ 630 BGB, Pflicht zur Zeugniserteilung

Bei der Beendigung eines dauernden Dienstverhältnisses kann der Verpflichtete von dem anderen Teil ein schriftliches Zeugnis über das Dienstverhältnis und dessen Dauer fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen auf die Leistungen und die Führung im Dienst zu erstrecken. Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen. Wenn der Verpflichtete ein Arbeitnehmer ist, findet § 109 der Gewerbeordnung Anwendung.

§ 109 Gewerbeordnung, Zeugnis

Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken.
Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.
Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen.

Der zweite Absatz betrifft verstecktelte Aussagen, wie zum Beispiel: „Frau Dings bemühte sich den gestellten Anforderungen jederzeit gerecht zu werden.“ Das hieß unter Personalern: Die ist jederzeit total unfähig. So klare Aussagen erlaubt der Gesetzgeber nicht mehr.

Wie gesagt, auf die Lügenzeugnisse kann man verzichten, der Fall Viersen zeigt, daß einfache, zackige und klare Kündigungsmöglichkeiten der Königsweg sind, wenn man junges Leben retten will.

Zum Schluß noch etwas Anekdotisches. Meine Großmutter war 1920 bei einem russischen Kapellmeister in Berlin in Stellung gewesen. Als er wegzog, wollte er meiner Oma ins Arbeitsbuch schreiben: „Helene ist ehrlich“. Wegen seinen begrenzten Sprachkenntnissen schrieb er „Helene ist herrlich“.

 

Grüße an den V-Schutz. Hans-Georg Maaßen wurde den Anforderungen des Amts jederzeit gerecht.