Die Volksgemeinschaft ist auch schon wieder da

Wer etwas älter ist, kann sich noch an die BDM-Führerinnen erinnern, die uns Kinder fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch immer noch mahnten, sich nach der Gemeinschaft zu richten. Oder an Walterchen, der in den 60ern die „sozialistische Menschengemeinschaft“ an den Mann brachte. Die derzeitige Impfkampagne erinnert stark an Naziideologie.

„Volksgemeinschaft“ als Gegenbild zur modernen, von Konflikten und sozialen Gegensätzen geprägten Gesellschaft war im 19. und 20. Jahrhundert für konservative, liberale, nationalbolschewistische und christliche Bewegungen ein Kampfbegriff. Durch den vom Soziologen  Ferdinand Tönnies (1855 – 1936) 1887 herausgearbeiteten Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft gewann der Begriff der Volksgemeinschaft an Popularität. In ihm bilden sich die von Tönnies geprägten Antinomien ab: Einheit gegen Pluralität, Individualismus gegen Verbundenheit der Gemeinschaft, Sonderinteressen gegen Gemeinwohl. Aus zwei Gründen fiel der Begriff auf fruchtbaren Boden: Der Gesellschaftsgedanke war – wie alles was mit der französischen Revolution zu tun hatte – durch die französische Besatzung vollkommen diskreditiert. Und der Gemeinschaftsgedanke knüpfte an tradierte gesellschaftliche Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich an, wie beispielsweise an das Zunftwesen.

Zunächst war der Gemeinschafts-Begriff politisch noch weitgehend deutungsoffen; er konnte „national“, „sozialistisch“, „konservativ“ oder „völkisch“ interpretiert werden. Diese Offenheit wurde Tönnies 1933 zum Verhängnis, er wurde beruflich aufs Altenteil geschoben.

Die nationalsozialistische Glaubenslehre definierte die Volksgemeinschaft als „die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischen Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassen- und Standesgegensätze wesensfremd sind.“ Wer allerdings nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörte oder gehören wollte, wurde ausgegrenzt, zum Feind erklärt oder sogar vernichtet. Das erinnert stark an die derzeitigen Verhältnisse in der BRD.

Der Begriff »sozialistische Menschengemeinschaft« als Revival des Begriffs von der Volksgemenschaft war von Walter Ulbricht höchstpersönlich ersonnen worden, der wie Kaiser Wilhelm keine »Parteien«, keine Klassen mehr, sondern nur noch Deutsche, äh DDR-Bürger, kennen wollte. Für ihn war diese Menschengemeinschaft eine DDR-spezifische, gegenüber anderen Ostblockländern höhere Entwicklungsstufe auf dem Trampelpfad zum Kommunismus. Dieser gemeinschaftliche Zahn wurde auf Druck Moskaus jedoch im Herbst 1971 gezogen. Kurt Hager referierte nach der Entmachtung Ulbrichts:

»Der VIII. Parteitag hat aus gutem Grunde auf den früher recht oft verwendeten Begriff der Menschengemeinschaft verzichtet … Auf den gegenwärtigen Entwicklungsabschnitt des sozialistischen Aufbaus in der DDR angewandt, ist er … wissenschaftlich nicht exakt, da er die tatsächlich noch vorhandenen Klassenunterschiede verwischt und den tatsächlich erreichten Stand der Annäherung der Klassen und Schichten überschätzt.« In den 70ern wurden unter Honecker alle Schlüsselstellungen wieder mit Parteigenossen besetzt, es war nicht zuletzt eine Messer- und Gabelfrage, um den beginnenden Verwendungsstau von Kadern zu mildern.

Die Denke der sozialistischen klassen- imd interessengleichen Gesellschaft ist inzwischen wieder da, wie unter Dr. Merkel nicht anders zu erwarten: Ein Forschungspapier, gefördert vom christdemokratisch geführten Bildungsministerium, gibt Impulse für einen „zusammenhaltssensiblen Journalismus“. Der WELT-Redakteuer Schwilden berichtete darüber:

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt Standort Hamburg hat gerade ein sogenanntes Impulspapier mit dem Titel „Zusammenhaltssensibler Journalismus“ veröffentlicht. Keine Ahnung, wer auf diesen Titel gekommen ist. Aber er klingt auch noch beim zweiten Mal wie ein Best-of der Ideen aus Wünschelrute, Feldenkrais, Napola, George Orwell, und dem Langen Marsch.

Den zusammenhaltssensiblen Journalismus konnte man schon beim Lesen des Völkischen Beobachters und des Neuen Deutschlands genießen. Die CDU hat offensichtlich dem Führer und Ulbricht die Treue geschworen. Sie ist in der Medienpolitik ein verkorkster Verschnitt aus NSDAP und SED.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Die Pressefreiheit funktioniert in der Weise, dass es nicht viel Freiheit vor ihr gibt.“ (Grace Kelly)