1914: Reformsandalen auf dem Kriegspfad

In Deutschland gewann um die Jahrhundertwende Friedrich Nietzsche Einfluß auf Intellektuellenkreise. Seine Philosophie war Kult der Natur, Gewaltsverherrlichung und Elitarismus:

„Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden?“

„Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!“

„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde.“

„Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!“

„Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, daß Blut Geist ist.“

„Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist von einer fröhlichen Bosheit: so paßt es gut zueinander.“

„Ihr sollt den Frieden lieben, als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen.“

„Der Krieg und der Muth haben mehr große Dinge gethan, als die Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten.“

„Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in die Träume eines brünstigen Weibes?“

„Der Mann soll zum Kriege erzogen werden, und das Weib zur Erholung des Kriegers: Alles andere ist Thorheit.“

Mit diesen Anweisungen waren die Parolen für den Ersten Weltkrieg vorgegeben und wurden eifrig nachgebetet. „Der Krieg ist groß und wunderbar“ faselte 1914 selbst der sonst so nüchterne Max Weber, um sich wenige Wochen später wieder zu fangen. Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen schrieb:

„Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diese singenden jungen Männerstimmen durch die Nacht zu hören und dabei zu wissen, sie ziehen ja alle in den Tod.“

Georg Simmel erwartete das Weichen des Mammonismus zugunsten einer neuen Gemeinschaft. Friedrich Naumann, Georg Heym, Robert Musil stimmten ein. Thomas Mann litt wie so viele unter dem manischen spätkaiserzeilichen Waschzwang:

„Krieg!, Es war eine Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.“ „Was die Dichter begeisterte, war der Krieg an sich selbst, als Heimsuchung, als sittliche Not. Es war der nie erhörte, der gewaltige und schwärmerische Zusammenschluß der Nation in der Bereitschaft zur tiefsten Prüfung – einer Bereitschaft, einem Radikalismus der Entschlossenheit, wie sie die Geschichte der Völker vielleicht bisher nicht kannte. Aller innerer Haß, den der Komfort des Friedens hatte giftig werden lassen – wo war er nun?“ (…) „Wie hätte der …Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte.“

Mann bekannte sich ausdrücklich zum „Gedankendienst mit der Waffe“, um das deutsche Wesen zu verteidigen. Tausende Federkiele begannen Tinte zu schlürfen, und auf unschuldigem Papier dunkle Spuren zu hinterlassen wie der von Thomas Mann. Der Schriftsteller Rudolf Burchardt sah gar den Kampf um die Verwirklichung des deutschen Wesens und der deutschen Mission ausgebrochen. Friedrich Gundolf aus dem George-Kreis lobte, dass die Deutschen endlich ein Volk geworden seien, „das einzig wahrhaftige, echte, männliche (Gundolf war schwul), sachliche.“ Diese Land voller Helden habe es mit Gegnern zu tun, die voller Feigheit, Lug und Gemeinheit steckten. Gustav Sack schrieb in seinem Roman „Der verbummelte Student“:

„Käme der Krieg!…Volk gegen Volk, Land gegen Land, ein Stern nichts denn ein tobendes Gewitterfeld, eine Menschendämmerung, ein jauchzendes Vernichten-! o, ob dann nicht ein Höheres -.“

Franz Marc schrieb am 26. September 1914 an seinen ausländischen Freund Wassily Kandinsky vom Blauen Reiter:

„Der Stall des Augias, das alte Europa, konnte nur so gereinigt werden, oder gibt es einen einzigen Menschen, der diesen Krieg ungeschehen wünscht?“

Alfons Paquet deutete Anfang 1914 in seinem im „Neuen Merkur“ abgedruckten Aufsatz „Der Kaisergedanke“ die gewünschte Reinigungskatastrope als Flurbereinigung aus. In der Frankfurter Zeitung vom 27.08.1914 betonte er, dass wir bereit seien mit dem blutroten Stift eine neue Weltkarte zu zeichnen und dass Deutschland bereits den Neuen Menschen in seinem Schoß trage.

„Vielleicht ist der Gedanke der Verwaltung der Erde dieser Gedanke und gibt dem Zeitalter der Weltwirtschaft, in das wir statt mit Freudenfesten und Verbrüderungen mit blutigen Kämpfen eingetreten sind, seinen kosmischen Sinn.“

Der Nobelpreisträger Rudolf Eucken verstand den Weltkrieg als „Weltbewährungsprobe deutscher Innerlichkeit“. Die Vernichtung der deutschen Art würde die Weltgeschichte ihres tiefsten Sinnes berauben. Der jugendbewegte Paul Natorp, einer der Organisatoren des Freideutschen Jugendtages von 1913 auf dem Hohen Meißner verstand den Krieg als Aufbruch der Jugend. Der Sinn des Völkermordens sollte ein idealer sein:

„So möchte der Deutsche allerdings gerne die Welt erobern, doch nicht für sich, sondern für die Menschheit; nicht um etwas dadurch zu gewinnen, sondern um sich zu verschenken.“

Johannes R. Becher peitschte sich buchstäblich auf Biegen und Brechen durch ungelenkes verwildertes Wortgestrüpp:

O dass doch ein Brand unsre Häupter bewölb
Es rascheln gewitternd Horizonte fahlgelb (…)
Wir horchen auf wilde Trompetdonner Stöße
Und wünschten herbei einen großen Weltkrieg. (…)
Die Nerven gepeitschet, die Welt wird zu enge.
Laßt schlagen uns durch Gestrüpp und Gedränge!“

Am 8. August 1914 schrieb der bekannte und umstrittene Publizist Maximilian Harden in seinem Periodikum „Zukunft“:

„Siegen wollen wir. Siegen müssen wir. (…) Das Schwert heraus! Der Fuß frecher Feinde schändet unseren Boden. Schlagt sie tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!“

Gerhard Hauptmann faselte unter der Überschrift „Komm, wir wollen sterben gehn“:

Diesen Leib, den halt´ ich hin
Flintenkugeln und Granaten:
Eh´ ich nicht durchlöchert bin,
kann der Feldzug nicht geraten.

Ähnlich todessüchtig reimte der Arbeiterdichter Heinrich Lersch im Gedicht Soldatenabschied:

Nun lebet wohl, ihr Menschen, lebet wohl!
Und wenn wir für euch und unsre Zukunft fallen,
Soll als letzter Gruß zu euch herüberhallen:
Nun lebet wohl, ihr Menschen, lebet wohl!
Ein freier Deutscher kennt kein kaltes Müssen:
Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!

Ob Deutschland wirklich leben müsse, bezweifelte der schwule Wanderer zwischen den Welten, Walter Flex:

Wie es dem Manne geziemt, in kräftiger Lebensmitte zuweilen an den Tod zu denken, so mag er auch in beschaulicher Stunde das sichere Ende seines Vaterlandes ins Auge zu fassen, damit er die Gegenwart desselben um so inbrünstiger liebe; denn alles ist vergänglich und dem Wechsel unterworfen auf dieser Erde. Oder sind nicht viel größere Nationen untergegangen, als wir sind. Oder wollt Ihr einst ein Dasein dahinschleppen wie Der ewige Jude, der nicht sterben kann, dienstbar allen neu aufgeschlossenen Völkern, er der die Ägypter, die Griechen und Römer begraben hat?
Nein! Ein Volk welches weiß, dass es einst nicht mehr sein wird, nützt seine Tage umso lebendiger, lebt um so länger und hinterlässt ein rühmliches Gedächtnis; denn es wird sich keine Ruhe gönnen, bis es die Fähigkeiten, die in ihm liegen, ans Licht und zur Geltung gebracht hat, gleich einem rastlosen Manne, der sein Haus bestellt, ehe denn er dahinscheidet……Der Gedanke an den Heldentod eines Volkes ist nicht schrecklicher als der Schwerttod eines Menschen. Nur das Sterben ist hässlich bei Menschen und Völkern.
Aber wenn ein Mann den tödlichen Schuß, der ihm die Eingeweide zerreißt, empfangen hat, dann soll keiner mehr nach ihm hinsehen. Denn was dann kommt, ist hässlich und gehört nicht mehr zu ihm. Das Große und Schöne, das heldische Leben ist vorüber. So muß es auch sein, wenn ein Volk seinen Todesstreich empfangen hat, – was danach kommt, darf niemand mehr seinem Leben zurechnen, es ist kein Teil davon….
Nur wer beherzt und bescheiden die ganze Armseligkeit der Vielen, ihre Freuden und Gefahren mitträgt, Hunger und Durst, Frost und Schlaflosigkeit, Schmutz und Ungeziefer, Gefahr und Krankheit leidet, nur dem erschließt das Volk seine heimlichen Kammern, seine Rumpelkammern und seine Schatzkammern. Wer mit hellen und gütigen Augen durch diese Kammern hindurchgegangen ist, der ist wohl berufen, unter die Führer des Volks zu treten.

Richard Dehmel goß Nietzsches Gedanken, dass nur Blut Geist ist, in folgendes Kriegsgedicht:

Gläubig greifen wir zur Wehre
Für den Geist in unserm Blut;
Volk, tritt ein für deine Ehre,
Mensch, dein Glück heißt Opfermut –
Dann kommt der Sieg,
Der herrliche Sieg!

Richard Dehmel, Arnold Zweig, Herbert Eulenburg, Victor Klemperer, Sammy Gronemann und der Brücke-Kommunarde Karl Schmidt-Rottluff waren in der Presse- und Propaganda-Abteilung des Landes Ober Ost eingespannt. Ober Ost war ein militärisches Verwaltungsgebiet unter Leitung der Generäle Ludendorff und Hindenburg, das aus Teilen von Polen, Litauen, Lettland und Weißrußland bestand. Gronemann schuf ein siebensprachiges Wörterbuch für das Herdersche Völkerpanorama zwischen der Düna und den wolhynischen Sümpfen.

In Wirklichkeit dienten alle oben genannten Künstler objektiv der Kriegspropaganda, die auf die Zersetzung des russischen Reiches durch Entfachung nationaler Leidenschaften im größten Völkergefängnis der Welt gerichtet war. Koenen schreibt von „verlogener, aber ernst gemeinter deutscher Kultivierungslyrik“. Arnold Zweig´s lange nach dem Weltkrieg geschriebener Roman „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ war ein nostalgischer Rückblick auf Ober Ost, wie viele Propagandisten  konnte er sich der Faszination des morastigen Multikulti-Reservats nicht entziehen. Böse Menschen kamen in Zweig´s Roman kaum vor.

Wie in Berlin, so in Wien: Das Kriegshilfscomitee Bildender Künstler hatte das Ziel, die künstlerische Qualität der Propagandamittel zu verbessern. Zu den Mitgliedern zählten Personen wie Egon Schiele und Alfred Kubin. Die Literarische Gruppe im Wiener Kriegsarchiv hatte die Aufgabe, aus Kriegsberichten propagandistische Artikel über „Kriegshelden“ zu verfassen. Zu den Mitgliedern zählten Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke, Alfred Polgar und Franz Werfel. Weitere Schriftsteller waren Schreiberlinge des Kriegspressequartiers, z.B. Egon Erwin Kisch, Robert Musil und Hugo von Hofmannsthal.

Der sozialistische Wirtschaftswissenschaftler Werner Sombart stilisierte den Weltkrieg unter der griffigen Formel „Händler gegen Helden“ zum Befreiungskrieg gegen den weltbeherrschenden britischen Freihandelskapitalismus. Deutschland sei der letzte Damm gegen die Woge des Kommerzialismus und den zersetzenden Geist des Mammonismus. Die mächtige Pflugschar des Krieges, die das fruchtbare Erdreich aus den Tiefen der Seele wieder nach oben befördere, erweise die Deutschen als ein junges Volk. Der Krieg sei Entscheidungskampf zwischen westeuropäischer Zivilisation und deutschem Barbarentum.

Alfred Henschke, genannt Klabund und der Zeichner Richard Seewald gaben das Kleine Bilderbuch vom Krieg heraus. Klabund wurde wegen seiner Tuberkulose als Kriegsfreiwilliger abgelehnt und musste sich beim Kriegstraktätchen schreiben das reformistische Mütchen kühlen. „Köpfe sausen und tote Münder schrein“, reimte er, und:

Ich will mein Herz mit Haß und Vernichtung tränken
Ich will nur einmal einen englischen Kreuzer versenken

Das war ihm jedoch nicht blutig genug. Noch ein Gedicht:

Riesenvögel fielen über Land
Schwarz mit gelben Schnäbeln,
Die sie gleich gekrümmten Säbeln
Menschen in den Leib gerannt.

Manche hackten sie wie Brote.
Wehrlos lächelnd dem Verderben
Sah man sanft das Abendrote
Sich mit seinem Blute färben.

In den Wettbewerb um das englandfeindlichste Gedicht trat Ernst Lissauer in den Wettbewerb mit Klabund, auch wenn der Reim vor primitivem antikapitalistischem Hass holperte:
Wir wollen nicht lassen von unserem Haß,
Wir haben alle nur einen Haß,
Wir lieben vereint, wir hassen vereint,
Wir haben alle nur einen Feind: England!
Was Klabund und Lissauer für England empfanden, das wünschte der Theaterkritiker Alfred Kerr dem russischen Reiche:

Ist Dein Land, Immanuel Kant,
Von den Skythen überrannt?…
Hunde drangen in das Haus:
Peitscht sie raus!…
Dürfen uns nicht unterkriegen,
Peitscht sie, daß die Lappen fliegen,
Zarendreck, Barbarendreck –
Peitscht sie weg! Peitscht sie weg!

Heiliges Rußland! Wenn es doch gelänge –
und du kriegtest die verdiente Senge! –
Logisches Vernunftgebot,
scharfe Dresche tut dir not!

Alfons Petzold gab 1915 in seinem Gedichtbändchen „Volk, mein Volk – Gedichte der Kriegszeit“, gedruckt in Jena bei Eugen Diederichs, zu, dass der Krieg eine Konsequenz der expressionistischen Dichterei sei:

„Es war ein unvergeßlicher Triumph des Dichterischen über ein ganzes Volk, jener Anfang des Augustmonats mit den Kriegserklärungen. Auch der stumpfste der Menschen war dem Weinen wie dem Jauchzen nahe in einer erschütterten Welt….“

Auch um das Theater machte die Kriegsbegeisterung keinen Bogen. Ludwig Seelig forderte in seiner 1916 vom Allgemeinen Deutschen Chorsänger-Verband herausgegebenen Schrift „Krieg und Theater“, die „sittlichen und geistigen Kräfte des Krieges“ sollten „in den Frieden hinüber gerettet“ werden. Krieg veredele den Menschen.

Kreaturen, denen man es entsprechend ihrer Nachkriegssozialisation nicht zugetraut hätte, stimmten in den Chor der Kriegsbegeisterten ein: Bertold Brecht vermutete, dass Großes gegeben werden müsse, um Großes zu erlangen, deutsche Ehre und Würde seien aller Opfer wert.

Robert Musil freute sich in einem Essay 1914 über die Tugenden, die nun endlich wieder wichtig waren – Treue, Mut, Unterordnung, Pflichterfüllung, Schlichtheit. Alfred Döblin, in einem Artikel für die „Neue Rundschau”, verfluchte noch im Februar 1918 alle, die „das Wort Frieden” in den Mund nehmen sollten.

Käthe Kollwitz machte ihren Stolz auf den Heldentod ihres Sohnes öffentlich und Franz Marc gelüstete es, seinen französischen Malerfreund Robert Delaunay vor sein Bajonett zu bekommen. Und konnten sie´s nicht schildern, so brachtens sie´s in Bildern. Der spätere Schnitzer von brutalistischen Engeln, Ernst Barlach und sein Secessionsfreund Max Liebermann illustrierten eifrig Kriegsflugblätter.

Diese Künstlerflugblätter, begründet und herausgegeben von Paul Cassirer und Alfred Gold offenbaren das who is who der Deutschen Secession: Insgesamt erschienen die Nummern 1-64/65 und ein Sonderheft mit Kriegsbildern von Max Oppenheimer. Zu den fleißigen Illustratoren gehörten Hans Baluschek, Ernst Barlach, J. Bato, Max Beckmann, P. Behrens, Walter Bondy, Büttner, Ludwig Danziger, Friedrich Feigl, V. Ferenczy, August Gaul, W. Geiger, Greve-Lindau, Großmann, Otto Hamel, Franz Heckendorf, Hettner, Dora Hitz, Heinrich und Ulrich Hübner, Otto Hundt, W. Jaeckel, Heinrich Kaiser, A. Kampf, Georg Kolbe, Alexander Kolde, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, M. May, Hans Meid, J. Arpad Murmann, Oskar Nerlinger, Max Oppenheimer, Oesterle, Carl Olof Petersen, F. Rhein, Waldemar Rösler, Kurt Schäfer, Slevogt, O. Starke, Helmuth Stockmann, Erich Thum, F. Tischler, A. u. W. Trübner, Max Unold, Wilhelm Wagner, Karl Walser, E. R. Weiß, Hedwig Weiß und andere.

Die lesbische Claire Waldoff sang 1912: „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen“ und im Krieg noch zahlreiche Soldatenlieder.

Hermann Hesse schrieb „Der Künstler an die Krieger”:

„Die ihr draußen in den Schlachten standet / Seid mir Brüder nun und mir geliebt”.
Rilke besang gleich im August 1914 den Kriegsgott und die Leiden, die er einer wartenden Welt bescheren würde. Am Kriegsbeginn verlangten viele Literaten nach jener Bestrafung, die sie auch bekamen, ohne später eine eigene Schuld einzugestehen oder auch nur einzuräumen. Nach vier Kriegsjahren wurden die Schuldigen gesucht und gefunden: Krupp, Stinnes und Thyssen.
Die Reformsandalen befanden sich auf dem Kriegspfad. Vor dem Heldenblut wurde zunächst unschuldige Tinte in Strömen vergossen. Frank Möbus schätzt, dass alleine in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 1914 etwa 1,5 Millionen Kriegsgedichte gereimt worden sind, wovon etwa 100.000 veröffentlicht wurden. Die obige Auswahl zeigt, dass fast alle von der nietzscheanischen Gewaltsreligion unterlagert und mit Gedanken der Jugendbewegung versetzt sind.

Im Oktober 1914 verfaßten der Zweite Bürgermeister von Berlin, Georg Reicke, der Dramatiker Hermann Sudermann und der Lustspielschreiber Ludwig Fulda einen „An die Kulturwelt“ gerichtetes „Manifest der 93″. Der sogenannten „Kulturwelt“ wurde mitgeteilt, dass es nicht wahr sei, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat.

„Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde es jeder Deutsche beklagen. Aber so wenig wie wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen. (…) Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist. (…) Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. (…) Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet … Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.“

Gerhart Hauptmann, Engelbert Humperdinck, Max Liebermann, Max Reinhardt, Friedrich Naumann, Max Planck, Paul Ehrlich und weitere Nobelpreisträger unterzeichneten den reformistischen Unfug, der in allen großen deutschen Zeitungen in reißerischer Aufmachung veröffentlicht wurde.

„Mein Vorschlag, nach Friedensschluß die Kriegsliteraten einzufangen und vor den Invaliden auszupeitschen, ist unerfüllt geblieben“ beklagte Karl Kraus nach Kriegsende.